"Transparent": Eine Trauerparty für Moppa (2024)

Die Amazon-Serie "Transparent" brachte das Thema Transgender in die Fernsehunterhaltung. Nun wird die Serie beerdigt – in Form eines furiosen Musicals.

Eine Rezension von Barbara Schweizerhof

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Es sagt sich so leicht, dass Filme immer serieller und Serien immer filmischer werden. Aber es bleiben immer noch ganz wesentliche, strukturelle Unterschiede: Wenn Serien anfangen, sind sie in der Regel lange noch nicht zu Ende gedacht. Und so gut wie nie zu Ende gedreht. Das macht viel von ihrem Reiz aus. Sie verändern sich, passen sich nicht selten Zeit- und Publiku*msgeschmack an, wachsen oft mit uns Zuschauerinnen. Es liegt auch ein Risiko darin: Jede neue Staffel muss sich an den vorherigen messen. Es werden Erwartungen geweckt, die nicht mehr erfüllt werden können, vor allem, was das irgendwann kommende Finale angeht. Und natürlich kann bei einer so langen Produktionszeit kann jede Menge schiefgehen. Zum Beispiel kann sich ein Hauptdarsteller durch sexuelle Übergriffigkeit disqualifizieren. Und was dann?

Transparent, eine der erfolgreichsten Serien aus dem Hause Amazon, ist ein wunderbares Beispiel für die glücklichen und unglücklichen Geschicke, die eine Serienproduktion befallen kann. Als die Serie im Februar 2014 auf den Markt kam, traf sie mit ihrem Transgender-Thema unmittelbar einen Nerv der Zeit. Inspiriert von ihren Erfahrungen mit dem eigenen Vater stellte Jill Soloway mit Maura Pfefferman (Jeffrey Tambor) eine Transgender-Frau in den Mittelpunkt, die mit über 70 ihr Coming-out vollzieht.

Selbstverständlich ist ihre ganze Familie mitbetroffen, Ex-Ehefrau Shelly (Judith Light) genauso wie die drei längst erwachsenen Kinder Sarah (Amy Landecker), Josh (Jay Duplass) und Ali (Gaby Hoffmann), die allesamt zudem an eigenen Fronten zu kämpfen haben. Sarah entdeckt ihre bisexuelle Seite und will ihren Mann verlassen; Josh muss sich und die Familie damit konfrontieren, dass die Affäre, die er als Jugendlicher mit der älteren Babysitterin hatte, eigentlich eine Form des Missbrauchs war, und Ali überschreitet auf der Suche nach sich selbst, ihrer wahren sexuellen Orientierung und Identität beständig soziale und andere Grenzen. Zudem geht es für die jüdischen Pfeffermans auch immer wieder um jüdische Spiritualität, Tradition und die Holocaustvergangenheit der Familie.

Die Serie traute sich was, nicht nur mit ihrer offenen, gender-fluiden Agenda, sondern auch in der Form: Erzählt wurde gegen den Strich der herkömmlichen Soap-Operas; nie lief es auf Umarmungen und falsche Versöhnlichkeit hinaus. Im Gegenteil, die narzisstischen, verwöhnten, neurotischen Pfeffermans benahmen sich oft genug gerade dann unmöglich, wenn es eigentlich hätte rührend werden sollen. Man musste sie nie mögen, keinen von ihnen, das war das besondere Merkmal der Serie. Aber man konnte in jedem von ihnen Teile von sich selbst entdecken.

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Zu Beginn von Transparent war der Diskurs um Transgender noch so neu, dass die Besetzung der Hauptrolle mit einem Cis-Mann wie Jeffrey Tambor – und überhaupt die geringe Beteiligung der Transgender-Community – nur wenig kritisiert wurde. Im heutigen Kontext wäre das ganz anders. Und wäre vielleicht auch noch hochgekocht, wenn nicht Tambor Ende 2017, die vierte Staffel war gerade online gegangen, von Ensemblemitgliedern sexueller Übergriffe in Form von unangebrachten Kommentaren und Benehmen beschuldigt worden wäre. Anfang 2018 wurde bekannt gegeben, dass Tambor nicht weiter an der Serie mitwirken würde. Die Kritik am Cis-Mann in der Transrolle hatte sich damit erledigt, doch wie sollte die Show nun mit dem Verschwinden ihrer Hauptperson umgehen? Die Antwort sieht so aus: Es gibt weder eine bloße Fortsetzung noch einen Neuanfang mit verändertem Personal, sondern einen Abschied, eine 100-minütige Trauerfeier. Beerdigt werden die Serie und ihre Hauptperson Maura – in Form eines Musicals.

Das Konzept leuchtet ein: Maura musste sterben, weil man sie nach Tambors Ausscheiden auch nicht einfach neu besetzen konnte. Ohne sie aber konnte es nicht wirklich weitergehen, ihre Rolle als "Moppa", als sich wandelnder, neu definierender, auf neue Weise weiblicher Familienpatriarch, war zu zentral. Auch die Musicalidee scheint passend: Transparent war immer eine Show, die mit verschiedenen Tonlagen arbeitete, mit seltenen Harmonien und vielen Dissonanzen. Und die sich formal immer zwischen den Genres bewegte. Das halbstündige Comedyformat war nur äußere Hülle für ein Psychodrama, das Ausflüge in die Satire oder sogar Parodie nicht scheute (Jill Soloway, die sich als Autorin und ausführende Produzentin von Alan Balls Six Feet Under einen Namen machte, hatte ihre ersten Bühnenerfolge mit einer Brady-Bunch-Parodie). So authentisch das Upper-Class-Los-Angeles-Milieu der Serie auch wirkte, ganz realistisch war es dabei nie. Dass nun gesungen wird, fügt sich als weiteres Loslösen aus den überkommenen Strukturen ins Konzept der Serie. Quasi ein weiteres "F* You" an alle, die auch ihre Kunst gern auf binäre, feste Kategorien festlegen wollen.

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Author: Kieth Sipes

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